Markus Dosch

Kurzgeschichten

Die Bussardfeder

Es war doch ganz gut, dass wir noch ein wenig spazieren gegangen sind.” Der Vater lächelte die Mutter an. Sie nickte und sagte „zuerst wollte ich nicht mit gehen, und die Kinder waren auch nicht gerade begeistert von deinem Vorschlag. Oder etwa nicht?“ Sie tätschelte die kleine Biggi auf die Wange und blickte sie zärtlich an. „Ja, Mama, lieber hätt’ ich im Fernsehen den Film mit den kleinen Monstern angeschaut, aber der Papa geht halt lieber spazieren.“ Der Vater lachte und sagte „ am Sonntag Nachmittag ist es schon besser, wenn wir an die frische Luft kommen. Und was meint Heino dazu, ha?“ Der Junge stierte vor sich auf den Boden und sagte nichts. „Na gut, wenn du keine Meinung dazu hast, dann ist das auch in Ordnung.“
„Wohin gehen wir jetzt, Mama?“ fragte Biggi. „frag deinen Papa, der hatte die Idee.“ Der Vater schaute unschlüssig umher und sagte dann „wir sollten den kleinen Weg an der Kirche vorbei zu den Büschen laufen. Da gibt es immer was zu beobachten. Es blüht doch noch jede Menge an Blumen und Sträuchern.“ „O ja,“ rief Biggi „vielleicht sehen wir dann auch noch einen kleinen Hund.“ „Vielleicht“, der Vater grinste und lachte vor sich hin.
Sie gingen den schmalen Weg entlang der alten Kirche. An der einen Seite war er von einem Holzzaun begrenzt und auf der andern kamen sie nach kurzer Zeit an der Mauer der Kirche vorbei. Als sie am Ende angelangt waren, rief Heino „schau was da am Boden liegt.“ Er bückte sich und hob die Feder auf. Sie war schmal und braungrau und ganz weich. „Ich will sie“ schrie Biggi, aber Heino stopfte sie in seine Jackentasche.
Am Ende der Kirchenmauer wurde sie von einem Drahtzaun abgelöst. Plötzlich rief Heino „da schaut mal, was ist denn da auf dem Dach.?“ Sie blickten alle nach oben. An der Rückwand der Kirche erstreckte sich ein rechteckiger Sockel, auf dem ein ziemlich großer Käfig angebracht war. Er war auch hoch, und von einer Seite zur andern ragte ein dicker Ast über den ganzen Käfig.
Dann flüsterte Biggi „Mama, da sitzt ja ein Vogel drauf.“ Sie starrten alle auf den Vogel. Man konnte ihn nicht gut sehen, denn er saß regungslos im Schatten der Mauer.
„Wie kommt der Vogel dahin?“ Der Vater zeigte mit der Hand nach oben. Da drehte sich der Vogel etwas zur Seite, und Heino schrie „er hat ja nur einen Flügel! Es ist ja ein Raubvogel.“ „Ja gibt’s denn das, ein Bussard, hier im Käfig, mit nur einem Flügel.“ Der Vater schüttelte den Kopf und blickte wie um Hilfe suchend um sich.
„Mama, wer hat dem Vogel den Flügel weggenommen?“ Biggi schaute die Mutter an und umklammerte ihre Hand. „Ich weiß es auch nicht, Kind. Vielleicht hat man ihn angeschossen.“ „Nein, sagte Heino „er hat auf der Autobahn nach Beute gesucht und ist überfahren worden.“ „Ja“ meinte der Vater „so könnte es schon gewesen sein.“
„Mama, ich habe Angst“ schluchzte Biggi „er tut mir ja so leid, der schöne, große Vogel.“ „Du brauchst keine Angst zu haben, Biggi…“ „aber er kann doch nicht mehr fliegen, Mama, er muss doch hier sterben.“ Sie presste sich an die Mutter, und man hörte ihr Schluchzen und Schniefen. Der Vater strich ihr über den Kopf und sagte „er möchte eben auch leben, wie alle Lebewesen und auch wir Menschen.“ „Aber er wird eingehen“ rief Heino „er wird doch nie mehr in Freiheit kommen und andere Tiere jagen.“
Er blickte unverwandt zu dem Vogel in seinem Käfig hoch und beschattete mit der einen Hand seine Augen. „Mama, warum lassen wir ihn nicht frei?“ Biggi zerrte die Mutter zum Zaun und schrie „ich will, dass er wieder fliegen kann!“ Biggi beruhige dich, wir können ihm nicht helfen.“ Aber die Kleine war nicht mehr zu halten. Sie hängte sich an die Maschen des Drahtzauns und rüttelte an den dünnen Drähten, und dicke Tränen liefen über ihre Wangen.

Verregnete Tage

Er sah zum Fenster hinüber. In dünnen Schlieren rann der Regen an den Scheiben herunter. Schon seit Wochen regnete es fast ununterbrochen, und allmählich war es in ihm empor gekrochen, wie ein unsichtbares Ungeheuer. Abstoßend und zugleich herausfordernd aufputschend. Er fühlte, es war wieder so weit, er musste losgehen und die Witterung aufnehmen, wie ein Wolf, wie ein wildes Tier. Aber er war doch auch ein Mensch, der ein menschliches Gefühl hatte, und er wollte ja nur das empfinden, was die andern alle ebenfalls suchten. Nur er, er war eben nicht so wie sie. Er musste ‚Es’ tun. Mehr und mehr hatte dieses Gefühl des Jagens seine Gedanken bestimmt.
Zwar hatte eine innere Stimme zu ihm gesprochen, er solle diesen Aufwallungen nicht gehorchen, denn irgendwann würden sie ihn finden. Was dann kommen würde, das durfte er sich nicht ausmalen. Nein, nein, weg damit!
Immer wenn der Regen kam, überwältigte es ihn. Und er fühlte sich stark und mächtig. Eine ungeheuere Glückserwartung durchströmte ihn, und er wusste, dass er es wieder tun musste, ja es tun wollte. Unbedingt.
Er ging zum Herd und setzte einen Topf mit Wasser auf. Ein Kaffee würde ihm gut tun und ihn ein wenig ablenken. Er hatte auch noch Plätzchen in der Keksdose, die schmeckten nicht schlecht. Er hörte dem Zischen des Wassers im Kessel zu. Es klang gut, und er spürte eine leichte Entspannung.
Eine junge Frau war ihm aufgefallen, schlank und ruhig dahin schreitend, ein bisschen elegant und nicht sehr groß. Das war sie. Er musste sie nur länger beobachten, wo sie weg ging und ob sie auch in dem dunklen, engen Weg am Waldrand der Stadt entlang lief. Hier mieden die Menschen das Herumspazieren, es war dort duster und ein wenig unheimlich. Aber ihr schien das nichts auszumachen.
Als er sie so beobachtete, wie sie mal raschen Schritts, manchmal schlendernd dahin ging, fühlte er den Druck in sich aufsteigen. Seine Hose spannte ihn immer stärker, er musste den Penis niederdrücken, damit er ihn nicht ablenkte.
Das Wasser kochte, und er gab Pulverkaffee in die Tasse und goss das siedende Wasser über das körnige Pulver. Der Kaffee warf Blasen, und er rührte ihn zu einer gleichmäßigen Brühe. Dann holte er sich einige Kekse aus der Dose und tauchte sie in den Kaffee. Es schmeckte süßlich angenehm.
Von Tag zu Tag wurde er unruhiger, von der Angst getrieben, dass sie vielleicht einen anderen Weg nehmen würde, und er sich nach einem neuen Mädchen umsehen müsste. Er hatte es auch mal mit einem Knaben versucht, aber es verschaffte ihm keinen geilen Kick. Er erinnerte sich aber immer noch an seine verwunderten Augen. So als könne er es gar nicht fassen, was da eben mit ihm passierte. Er war eine leichte Beute gewesen, völlig uninteressant. Aber diese Frau musste er bekommen. Alles in ihm fieberte der Stunde entgegen, wenn er sie von hinten packte und ins Gebüsch zog. Dann konnte sie ihm nicht mehr entgehen. Ihre Schreie würden von Niemandem gehört werden, dafür würde er schon sorgen. Aber einen Kampf würde es schon geben, das war ja das Aufregende und Supergeile. Ihre Versuche, sich aus seiner Umklammerung herauszuwinden und sein Druck um ihren Hals, der immer stärker werden musste.
Er sah wieder zum Fenster hinüber und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er war müde und etwas abgeschlafft, aber das ging Vorüber. Er sog den letzten Rest des Kaffees aus der Tasse und überlegte, ob er sie gleich sauber machen sollte oder erst später. Er hasste es, wenn das schmutzige Geschirr herumstand. Darum hatte er sie verlassen, weil sie es nie schaffte, Ordnung in die kleine Bude zu bringen.
Nachdem er die elegante Lady in dem Wäldchen erledigt hatte, war er ganz ruhig geworden und der enorme Druck war wie weggeblasen. Die Zeitungen waren wieder voller Berichte über diese Tat und überschlugen sich mit Vermutungen, wer wohl dieses Ungeheuer sein mochte.
Plötzlich musste er Weinen . Ja, er war ein Ungeheuer. Was wohl seine Mutter gesagt hätte? Ihr Sohn ein Mörder! Er fühlte einen Stich in der Brust und musste sich setzen. Dann stierte er auf die Zeitung vor sich auf dem Tisch. Er musste Schluss machen. Nach jedem Hochgefühl war ihm bald elend zu Mute. Er hasste sich und diesen unerbittlichen Drang, aber jetzt wollte er wirklich allem ein Ende setzen. Er würde ja doch niemals aus diesem Abgrund heraus kommen, immer wieder dieser Versuchung erliegen. Zuzudrücken.

Auto mit schlechter Sicht
Im Gedenken an Artur Troppmann (1930 – 1979)

Artur war für uns in der Werkstatt ein ‚großer’ Arbeiterschriftsteller. Er hatte schon einen gewissen Ruhm erreicht, als wir noch unsere ersten Schreibversuche machten. Am Anfang des WK in den siebziger Jahren kam er ab und zu in die WST, hörte aufmerksam zu und gab dann seine Ratschläge zu den gelesenen Texten. Er wirkte sehr in sich gekehrt, hatte eine angenehme sonore Stimme, doch las er selten einen Text von sich, denn er hatte immer Angst, dass er vor ‚Aufregung’ nochmals einen Herzinfarkt bekommen könne. Seine Besuche in der WST waren wohl aus diesem Grund äußerst rar.
Als er mal wieder bei uns war, bot er mir an, mich mit dem Pkw nach Hause mitzunehmen. Ich willigte gerne ein, denn draußen war Winter, und es blies ein eiskalter Ostwind.
Als wir zum Auto kamen, sah ich, dass es ein uralter VW-Käfer war, der auf der rechten Seite keine Windschutzscheibe hatte, sondern diese Seite mit einem Karton bedeckt war. Da ich auf der Beifahrerseite sitzen musste, gefiel mir das gar nicht. Aber weil ein altes Sprichwort sagt: ‚besser schlecht gefahren als gut gelaufen’; setzte ich mich auf meinen Sitz und Artur fuhr los. Auch er sah nicht besonders gut aus seinem Fenster und reckte bei jeder Kreuzung seinen Oberkörper weit übers Lenkrad und spähte in die Dunkelheit. Es ging also nur ruckweise voran, und ich bedauerte es, dass ich nicht mit einem öffentlichen Verkehrsmittel gefahren war.
Irgendwann sagte ich zu Artur „ich steig doch lieber aus und geh den Rest der Strecke zu Fuß nach Haus.“ Artur grinste und meinte „hast jetzt Angst gekriegt, dass wir irgendwo reinfahren?!“ Ich machte gute Miene zum nicht so guten Spiel, stieg aber trotzdem aus dem ‚blinden’ Gefährt heraus und war froh, als ich im Freien war. Natürlich ist Artur trotz der schlechten Sicht gut nach Hause gekommen, aber mir war es schon lieber so.

Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung

Betreff: SZ v. 26.6.09 „Blockade überwinden“

Hallo SZ, der Titel des Berichts von Almut Sievert über die studentische Schreibschule von Doris Dörrie an der Uni, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf unsere so hoch gelobte „Mediendemokratie“. Die Ingredienzien sind die üblichen: Quoten-Promi, zur Elite auszubildende Studierende, eine Hochschule, in der die sogenannten „kleinen“ Leute nichts zu suchen haben.

Auf der anderen Seite das Gejammer, auch der SZ, dass unsere Politiker die kulturelle Forderung des GG, auch nicht studierte Bürger sollen am Kulturleben teilhaben, nicht erfüllen wollen.

Der „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ betreibt ebenfalls literarische Schulungen für Arbeitnehmer und andere Benachteiligte in der BRD, damit sie ihre gesellschaftliche Situation reflektieren und in literarischer Form darstellen können. Aber der WK findet keinen Platz in den Medien und das seit Jahrzehnten. Das ist die traurige Realität in unserer Medienlandschaft. Für uns ist es die pure Heuchelei und eine wohlbedachte Ausgrenzungspolitik! Die verblichene DDR lässt grüßen und die iranischen Demonstrationszerstörer sind nicht gar so fern! Haben die SZ und andere Medien kein Herz für sozialkritische Schreiber in Deutschland? Es sieht nicht nur so aus, es ist leider auch so. Ob sich da etwas zu unserem 40. Gründungsjahr 2010 ändern wird?

Mit freundlichen Grüßen
Markus Dosch

Antwort der SZ (16. Juli 2009)

Sehr geehrter Herr Dosch,

Ihren Leserbrief haben wir schon zur Kenntnis genommen. Nur ist es leider so, dass man mit den Leserbriefen, die täglich hier eintreffen, problemlos ein bis zwei Ausgaben der SZ alleine füllen könnte, womit aber kein Platz mehr für Artikel wäre.

Mit anderen Worten: Bei dem geringen zur Verfügung stehenden Platz können wir nicht jeden Leserbrief auch abdrucken, sondern müssen notgedrungen eine Auswahl treffen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen
Franz Kotteder

Replik von Markus Dosch (17. Juli)

Hallo Herr Kotteder, vielen Dank für Ihre Antwort. Mir ist schon klar, dass eine Zeitung wie die SZ für Leserbriefe wenig Platz hat. Das kann ja jetzt wohl das Internet übernehmen. Aber ich denke halt, wir sind der SZ auch viel zu bedeutungslos, sodass es sich nicht lohnt, Platz für „sowas“ zu verschwenden. Obwohl schon auch Platz da ist für viele andere „sowasse“. Das kann ich als eifriger Leserbriefleser gut beurteilen. Jede Zeitung hat halt auch Ihre Vorlieben und Hätschelkinder, die sie nicht verkommen lässt. Die SZ lese ich trotzdem oft mit viel Vergnügen und man kann viel dabei lernen. Ciao und gute Grüße und ein schönes Wochenende.
Markus Dosch, Werkkreis Literatur der Arbeitswelt.

Gedichte

An Walt Whitman

Da ich die Sonne klingen hörte im Morgen,
Dacht ich an Dich.
Das einsam gelegen Leichenhaus am Bach,
Noch tränenfeucht.
Wiese besiedelt von Strolchen und Dieben,
Wiese beladen mit Deines Atems Duft.
Dein Haar im Wirbel des Apfelbaums,
Dein Bart, Dein weißer Bart
Im Summen des Sommerhimmels,
Im wohligen Lärm der entfernt Badenden.
Viel und lang ging ich an deiner Seite,
Und verlor mich im Brausen der Welle.
Trieb mich Schnees nadelspitze Fremde
Von Weiden und Wäldern.
Vom Schmerz und dem schnellen Tod
Girrt die Taube im Schober.
Bald tanzt dein Lächeln im Staub vom Korn.
Im weichen Gras ist mir der Himmel
Dein liebend Gesicht.

Markus Dosch gezeichnet von Bruno Schiebel
Markus Dosch gezeichnet von Bruno Schiebel

Dämon

Was heißt hier einsam sein?
Ihr Blut pulst wie der Bach,
Noch nicht eingemauert.
Ihre Lippen fühl ich wie Fleisch von Trauben.
Aufblitzt ihr Schenkel,
Springend glänzender Fisch.
Bin ich dann allein mit Dir,
Weichst Du eifersüchtig nicht aus meiner Nähe.

Demon

What is the meaning of loneliness hereabouts?
Her blood pulsates like a brook,
Not yet dammed up.
Her lips are felt by me
As the flesh of grapes.
Her thigh flares up flashing,
A jumping, gleaming fish.
Then alone with You,
You never leaving my vicinity, in jealousy.

(Englische Fassung von Ernest Rosenfelder)

Selbstportrait von 1956
Selbstportrait von 1956

Morgen am Meer

Dein Schritt verharrt in Morgens Grau,
Ungehört, nur dir vertraut,
Und weicher Schlag der Wellen in das Schilf.
Erwacht das Schmatzen einer Ammer,
Im Röhricht treibt der Wind sein Spiel.
Verharr und lausch des Lebens leise
Klänge.
Wie Wimpernschlag des Fischers
Ruder,
Eingebrannt in deines Herzens
Stille.
Schließ die Augen,
Natur und Welt
Berühren dich
Sind dir nah.

Gedichte wozu?

Zum Arschauswischen?
Zum Liebesspielgestöhn?
Zum Wandtapezieren?
Für die Wiedergeburt?
Vor Gottes Thron oder Luzifers Höllentor?
Vor den Hügeln der Rosen?
Oder in Dir oder für Dich
Oder für Dich und Mich?
Vergiss alles, sei ALT und NEU!
Sei EIS, ACKER, WIESE, HIMMEL!